Die folgenden Worte des US-Präsidenten Biden beschreiben es doch recht zutreffend: „Es ist nicht März 2020... wir wissen mehr.“ Es ist nun mittlerweile etwa zwei Jahre her, als wir COVID-19 erstmals einen EBM-Focus-Artikel gewidmet haben: COVID-19: Ten Things You Need to Know. Wir haben wirklich einen langen Weg hinter uns gebracht. Dies zeigen vor allem die Fragen, die wir damals sowohl im ersten als auch im zweiten Artikel (Ten Things You Need to Know NOW) gestellt haben:

  • „Ist die Verwendung von Ibuprofen während einer COVID-19-Infektion sicher?“
  • Sind Nahrungsergänzungsmittel hilfreich bei der Vorbeugung einer COVID-19-Infektion oder bei der Verringerung des Schweregrads?“

Wir gehen nun in das dritte Jahr der COVID-19-Pandemie mit Impfstoffen, Behandlungen und auch den Herausforderungen durch die neuen Varianten. Im Sinne einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung und der Beseitigung von Fehlinformationen möchten wir Ihnen hier die Fragen der Ausgabe 2022 vorstellen: Zehn Dinge, die Sie jetzt wissen sollten.

1. Wie ansteckend ist Omikron?

Omikron ist zwei- bis dreimal so ansteckend wie Delta. Diese neue Variante hat Bedenken hinsichtlich der erhöhten Übertragbarkeit und der verminderten Wirksamkeit von Impfstoffen aufgeworfen. Omikron weist Dutzende von Mutationen im Spike-Protein auf, dem Ziel von monoklonalen Antikörpern und bestehenden Impfstoffen. Forschende gehen davon aus, dass die Mutationen in einem einzigen immungeschwächten Wirt über einen Zeitraum von etwa zehn Monaten entstanden sind und nicht in einem einzigen Stamm, der die Mutationen bei aufeinanderfolgenden Übertragungen angesammelt hat. Frühe Studien zu Haushalten und Kontaktpersonen (Zahl nicht bereinigt um vorherige Impfungen oder Infektionen) zeigen, dass 19 Prozent der Omikron-Indexfälle zu einem zweiten Fall innerhalb des Haushalts führten, im Vergleich zu 8 Prozent bei Delta (bereinigtes Risikoverhältnis 3,2 [95%CI 2,0-5,0, p <0,001]).

2. Sind die Impfstoffe gegen Omikron noch wirksam?

Ja, wenn die Patient:innen nach der ersten Grundimmunisierung eine Auffrischungsimpfung erhalten haben. Eine frühe, nicht-peer-reviewte Fall-Kontroll-Studie über die Wirksamkeit des Impfstoffs bei 581 Omikron-Patient:innen zeigte eine Wirksamkeit von 70% bis 75% gegen symptomatische Infektionen bei Patient:innen, die eine Auffrischungsimpfung erhalten hatten, im Vergleich zu nur 30% bei denjenigen, die nur die ersten zwei Impfdosen erhielten. Wichtig ist jedoch, dass zwei Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs Corminaty immer noch einen 70 prozentigen Schutz vor schweren Verläufen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, boten. Die untersuchten Patient:innen hatten entweder zwei Impfdosen von BioNTech/Pfizer oder von AstraZeneca erhalten. Alle Auffrischungsimpfungen erfolgten jedoch mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer. Zwar scheint die Gesamtwirksamkeit des Impfstoffs gegen Omikron auf Grundlage dieser frühen Daten deutlich geringer zu sein als die Wirksamkeit gegen Delta, dennoch gelten 75 Prozent immer noch als eine „mittlere bis hohe“ Wirksamkeit des Impfstoffs, so dass wir weiterhin versuchen sollten, so viele Menschen wie möglich zu einer Impfung zu bewegen. Die Labordaten von Spikevax von Moderna und dem Impfstoff von Johnson & Johnson liefern ähnliche Informationen über die Wirksamkeit gegenüber Omikron, aber die klinischen Berichte für diese Impfstoffe stehen noch aus.

3. Sollte eine Kreuzimpfung bei der Boosterimpfung empfohlen werden?

Vielleicht. Zwar ist inzwischen klar, dass keiner der Impfstoffe eine lebenslange Immunität gegen alle COVID-19-Varianten bietet, jedoch lassen sich mRNA-Impfstoffe möglicherweise leichter herstellen und sind auf lange Sicht wirksamer. Ein interessantes pragmatisches weltweites Experiment ist jedoch die große Anzahl von Menschen, die zunächst mit einem Impfstoff geimpft werden und dann mit einem anderen Impfstoff ihre Auffrischungsimpfung erhalten. Epidemiologen bezeichnen dies als „heterologes Impfschema“. Zu den theoretischen Vorteilen gehören die Exposition gegenüber verschiedenen Antigenen oder die Aktivierung verschiedener Teile des Immunsystems, die zu einer erhöhten Immunogenität und damit zu der Erwartung einer verbesserten Schutzwirkung führen. Zu den Nachteilen könnten verschiedene potenzielle Nebenwirkungen gehören. In einigen Bereichen, aber auch im Rahmen von klinischen Studien, wird die Verwendung verschiedener Impfstoffe aus der Notwendigkeit heraus vorgenommen. Die ersten Ergebnisse scheinen für ein heterologes Impfschema bei der Auffrischungsimpfung zu sprechen, aber weitere Langzeitdaten sind erforderlich, um Schlussfolgerungen ziehen zu können.

4. Können Influenza- und COVID-19-Impfstoffe zusammen verabreicht werden?

Ja, auf jeden Fall. Ursprünglich empfahlen die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Grippe- und COVID-19-Impfstoffe im Abstand von mindestens 14 Tagen zu verabreichen, da keine ausreichenden Daten vorlagen und um zu verhindern, dass Nebenwirkungen fälschlicherweise den COVID-19-Impfstoffen zugeschrieben werden. Inzwischen gibt es jedoch Belege dafür, dass die gleichzeitige Verabreichung von Impfstoffen als Standardpraxis gilt. In einer multizentrischen randomisierten Studie im Vereinigten Königreich wurde die gleichzeitige Verabreichung von zwei COVID-19-Impfstoffen (BioNTech/Pfizer und AstraZeneca) mit drei inaktivierten Grippeimpfstoffen untersucht. Die Ergebnisse aus den Tagebüchern der teilnehmenden Personen zeigten, dass systemische Reaktionen in beiden Gruppen ähnlich häufig auftraten. Die Immunreaktion (gemessen an den SARS-CoV-2-Spike-Protein-Antikörpern und der Hämagglutinin-Antikörperhemmung) blieb sowohl bei der COVID-19- als auch bei der Influenza-Impfung erhalten. Fazit: Die gleichzeitige Verabreichung von Impfstoffen gegen COVID-19 und der Grippe führte zu ähnlichen Nebenwirkungen, ohne jedoch die Immunreaktion zu beeinträchtigen. Sie schützt außerdem nicht nur vor Infektionen, sondern verringert gleichzeitig auch die Belastung des Gesundheitssystems.

5. Sollte die COVID-19-Impfung während der Schwangerschaft durchgeführt werden?

Ja. Zahlreiche Organisationen, darunter die CDC und das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG), empfehlen derzeit die COVID-19-Impfung für Schwangere und stillende Mütter, einschließlich der Auffrischungsimpfung. Aus Kohortenstudien geht hervor, dass die Impfstoffe sicher sind und eine Infektion verhindern können. Weitere Informationen finden Sie unter dem Thema COVID-19 und schwangere Patientinnen in DynaMed. Aktuelle Informationen des RKI und der STIKO finden Sie hier.

6. Wie zuverlässig sind Antigen-Schnelltests, die zu Hause durchgeführt werden?

Hierzu gibt es leider keine guten Nachrichten. Eine Studie aus dem Jahr 2020, in der verschiedene selbst durchgeführte PCR-Tests mit Antigen-Schnelltests verglichen wurden, hat ergeben, dass die Erkennungsraten bei den molekulardiagnostischen Tests zwischen 51 und 82 Prozent liegen, im Vergleich zu 12 Prozent bei den Antigen-Schnelltests. Alle Tests schnitten innerhalb von neun Tagen nach Auftreten der Symptome besser ab als bei einer späteren Testdurchführung oder bei Personen mit asymptomatischem Verlauf. Eine Cochrane-Review von 48 Studien aus dem Jahr 2021, in denen kommerzielle Antigentests ausgewertet wurden, ergab eine Sensitivität von 69 Prozent (95% CI 62%-75%) und eine Spezifität von 99,6 Prozent (95% CI 99%-99,8%). Die derzeitigen Empfehlungen spiegeln in erster Linie die Notwendigkeit von Bestätigungstests wider, wenn die Antigentests positiv sind, sowie die mögliche Notwendigkeit einer Quarantäne, auch bei negativen Antigentests. Was die PCR-Tests betrifft, so deuten neue Daten darauf hin, dass Speichelabstriche zum Nachweis von Omikron besser geeignet sind als Abstriche aus dem mittleren Turbinat.

7. Wie gut wirkt das antivirale Medikament Molnupiravir?

Es scheint ziemlich gut zu wirken, zumindest gegen die Delta-Variante. Das orale antivirale Medikament Molnupiravir erhielt in einigen Ländern eine Notfallzulassung für erwachsene Risikopatient:innen mit leichten bis mittelschweren COVID-19-Verläufen, wobei die Behandlung innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome eingeleitet werden sollte. Die MOVe-OUT-Studie, die zwischen Mai und November 2021 durchgeführt wurde, randomisierte 1.433 nicht hospitalisierte und nicht geimpfte Erwachsene mit leichter bis mittelschwerer COVID-19-Erkrankung und mindestens einem Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf. Sie erhielten entweder Molnupiravir (zweimal täglich 800 mg) oder ein Placebo-Präparat für die Dauer von fünf Tagen, beginnend innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome. In einer geplanten Zwischenanalyse, die durchgeführt wurde, nachdem 50 Prozent der Patient:innen 29 Tage lang beobachtet worden waren, zeigte sich, dass Molnupiravir das Risiko eines tödlichen Verlaufs oder einer Krankenhauseinweisung im Vergleich zur Placebogruppe signifikant verringerte (7,3% im Vergleich zu 14,1%, p = 0,001). Molnupiravir wurde aufgrund von durchgeführten Tierversuchen jedoch für Kinder oder Schwangere als nicht sicher eingestuft.

8. Was gibt es Neues zu Remdesivir?

Die „Achterbahnfahrt“ mit Remdesivir geht weiter, aber das Medikament könnte sich am Ende doch noch als hilfreich erweisen. Die Ergebnisse der SOLIDARITY-Studie der WHO waren enttäuschend, denn Remdesivir verbesserte die Überlebensrate nicht, wenn es zur Standardbehandlung von Krankenhauspatienten zusätzlich verabreicht wurde. In zwei Meta-Analysen zeigte sich, dass Remdesivir die Notwendigkeit mechanischer Beatmung bei jenen Patient:innen verringert, die für eine Sauerstoffbehandlung aufgenommen worden sind. Kürzlich wurde festgestellt, dass eine dreitägige Verabreichung von Remdesivir bei ambulanten Patient:innen mit leichter bis mittelschwerer COVID-19-Erkrankung das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod reduzierte (Hinweis: Während des 28-tägigen Studienzeitraums verstarb keine Person). Alles in allem sehen die Daten zu Remdesivir in Bezug auf die Verhinderung von Krankenhauseinlieferungen und schwereren Krankheitsverläufen also recht vielversprechend aus.

9. Ist Fluvoxamin tatsächlich eine mögliche Behandlungsoption für COVID-19-Patient:innen?

Bislang sieht es so aus, als sollte Fluvoxamin weiterhin zur Behandlung von Zwangsstörungen (Obsessive-Compulsive Disorder; OCD) eingesetzt werden. Die größte Studie (TOGETHER-Studie) untersuchte Fluvoxamin bei Menschen mit einem symptomatischen COVID-19-Verlauf, die ein höheres Risiko für die Entwicklung einer schweren Erkrankung aufwiesen. In Brasilien wurden 1.497 Erwachsene randomisiert in Gruppen eingeteilt und erhielten 10 Tage lang entweder das Medikament Fluvoxamin (200 mg pro Tag) oder ein Placebo-Präparat. Fluvoxamin war mit einem geringeren Risiko für einen Verbleib in der Notaufnahme oder einer Verlegung in ein tertiäres Krankenhaus verbunden (11 Prozent gegenüber 16 Prozent). Das Risiko einer Krankenhauseinweisung aufgrund von COVID-19 oder eines tödlichen Verlaufs unterschied sich jedoch nicht signifikant zwischen den beiden Gruppen. Die Infectious Disease Society of America (IDSA) empfiehlt derzeit, Fluvoxamin für nicht-hospitalisierte Patient:innen nur im Rahmen einer klinischen Studie in Betracht zu ziehen.

10. Und schließlich: Was wissen wir über Long-COVID?

Bei Long-COVID handelt es sich um eine heterogene Gruppe von mehr als 50 Erkrankungen und Symptomen, die durch eine vorausgegangene COVID-19-Infektion miteinander verbunden, aber ansonsten nicht genauer definiert sind. Die WHO scheint dazu zu tendieren, Long-COVID als Symptome zu definieren, die ein bis drei Monate nach einer bekannten Infektion anhalten, und „post-COVID“ als Symptome, die länger als drei Monate andauern.

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint klar, dass zwar fast die gesamte Bevölkerung psychisch gelitten hat, aber Menschen, die an COVID-19 erkrankt sind, oft auch objektiv messbare Folgeerscheinungen aufweisen, wie z. B. eine verringerte Herzfunktion auf dem Herzecho, eine Vernarbung der Lunge auf dem CT und sichtbare Gehirnveränderungen auf dem MRT (was wahrscheinlich zu den drei häufigsten Symptomen beiträgt: Müdigkeit, Atemnot und kognitive Veränderungen). Darüber hinaus besteht zwar ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Erstinfektion und den Langzeitsymptomen, doch sind viele, die an Long-COVID leiden, jung, wiesen keine Vorerkrankungen auf und hatten nur eine leichte oder sogar asymptomatische Erstinfektion durchlebt. Möglicherweise werden im Jahr 2022 weitere Antworten vorliegen, doch scheint Long-COVID sowohl häufig aufzutreten als auch schwerwiegende Folgen zu haben - ein weiterer potenzieller Vorteil einer Impfung.

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